Eine Grabstätte und im Hintergrund stehen zwei Hütten
Grab des Widerstandskämpfers Songea Mbano. Maji Maji Memorial Songea | Foto: Henriette Seydel

Bis heute traumatisch

Maji-Maji: Verdrängter Genozid oder erinnerter Widerstand?

Der Maji-Maji-Krieg (1905 bis 1907/08) entwickelte sich zu einem transkulturellen Massenwiderstand gegen die deutsche Fremdherrschaft. Anfangs erfolgreich, wurde der Widerstand durch die Kolonialtruppen des Deutschen Reichs brutal niedergeschlagen. Der Krieg wird nicht als Genozid betrachtet, aber Forderungen nach Entschuldigung und Entschädigung bleiben präsent.

von Henriette Seydel

20.06.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 403

Das heutige Festland-Tansania war von 1885 bis 1918 Teil der Kolonie »Deutsch-Ostafrika«. Infolge von Gewalt, Landnahme, ausbeuterischer Politik und der Einmischung in bestehende Gesellschaften wehrte sich die dort lebende Bevölkerung gegen die Fremdherrschaft. Einer der bekanntesten Akte des Widerstands ist der Maji-Maji-Krieg. Während dieser Befreiungskrieg eine bedeutende Rolle in der tansanischen Erinnerungskultur spielt, wird er in Deutschland kaum beachtet.

Vom Lokalprotest zum Massen­widerstand

Eine neu eingeführte Kopfsteuer, die etwa viermal so hoch war wie die bisherige Hüttensteuer, ein Jagdverbot sowie Landenteignungen zwangen die Kolonisierten auf die deutschen Plantagen. Dort erlebten sie Demütigungen, Prügelstrafen und Unterdrückung. Als Zeichen des Protests zerstörten Ostafrikaner*innen im Sommer 1905 Baumwollfelder der Weißen. Häuser und Siedlungen der Deutschen wurden geplündert und in Brand gesteckt, Verwaltungspersonal verjagt und Militärposten gestürmt.

Über zwanzig Volksgruppen kämpften gegen die deutschen Fremd­herrschaft

Diese Revolte entwickelte sich zu einer transkulturellen und überregionalen Massenbewegung. Menschen verschiedener Religionen, Staatsformen, Sprachen und Kulturen, die vor der Kolonisierung zum Teil auch in feindlicher Beziehung standen, schlossen sich zusammen. Mehr als zwanzig Volksgruppen beteiligten sich im Kampf gegen die Fremdherrschaft. Der Name Maji (Swahili: »Wasser«) ist auf das religiös-spirituelle Narrativ eines Wunderwassers zurückzuführen: Der Heiler Kinjikitile Ngwale prophezeite, dass die Kämpfer*innen durch das Maji gegen die Gewehrkugeln der Deutschen unverwundbar seien.

Da die afrikanischen Kämpfer*innen zu Beginn zahlenmäßig deutlich überlegen und durch das Maji-Versprechen motiviert waren, erzielten sie schnelle Erfolge. Sie brachten fast die Hälfte des Kolonialgebietes unter ihre Kontrolle. Die Deutschen wurden überrumpelt und ihnen fehlten zunächst ausreichende militärische Mittel. Aufgrund der moderneren Waffen und der immer größer werdenden deutschen »Schutztruppe« verloren die Widerständler*innen aber immer öfter in offenen Feldschlachten. So gingen sie zu einer Guerillataktik über und nutzten ihre Lokalkenntnisse zu Überraschungsangriffen. Die Deutschen reagierten mit einer Politik der »Verbrannten Erde«. Sie zerstörten und vernichteten Brunnen, Felder, Ernten, Vieh und Häuser in Südtansania. Den Menschen wurde ihre Lebensgrundlage genommen und sie starben durch die strategisch hervorgerufene Hungersnot. Mit der Zeit brach der Widerstand in sich zusammen und weite Teile der demoralisierten Bevölkerung unterstützten die Proteste nicht mehr. Gouverneur von Götzen erklärte den Krieg im Sommer 1907 für beendet. Einzelne Kämpfe gab es noch bis 1908. Insgesamt gehen Historiker*innen von 180.000 bis 300.000 Menschen aus, die direkt oder indirekt durch das Kriegsgeschehen getötet wurden – davon knapp 1.000 auf deutscher Seite.

Die Jahre nach Kriegsende waren gezeichnet von Hungersnöten, Obdachlosigkeit und einer erhöhten Kindersterblichkeit. Das sich ausbreitende Buschland hatte einen Schwund der landwirtschaftlichen Fläche sowie einen Anstieg der krankheitsübertragenden Tse-Tse-Fliegen zur Folge. Durch gezielte Ermordung der lokalen Anführer*innen wurden politische und gesellschaftliche Strukturen dauerhaft zerstört.

Das Erbe des Maji-Maji-Kriegs

Bis heute sind Auswirkungen des Krieges zu beobachten. Dass die Gegenden Südtansanias im Vergleich zum Rest des Landes arm sind und sich durch eine höhere Kindersterblichkeit sowie niedriges Pro-Kopf-Einkommen auszeichnen, ist Erbe der Kolonialherrschaft. Auch der Touristenmagnet Nyerere-Nationalpark konnte nur dadurch entstehen, dass nach dem Maji-Maji-Krieg weite Flächen für Menschen unbewohnbar gemacht wurden.

Das Leid des Krieges und seine Folgen wirken bis heute traumatisch. Der Widerstand wurde gewaltsam niedergeschlagen und war als glorreiche Heldengeschichte eher ungeeignet. Über eine längere Zeit schwieg die tansanische Gesellschaft dazu. Gleichzeitig gilt Maji-Maji als ein wichtiges Gründungsnarrativ Tansanias. Die Unabhängigkeitsbewegung um Julius Nyerere in den 1950/60er-Jahren musste jedoch Überzeugungsarbeit leisten, dass da kein weiterer Krieg bevorstand: Die Dekolonisation sollte auf diplomatischem Wege angestrebt werden. Sie nutzte Maji-Maji als Ausdruck für Freiheit, für eine Einheit und Zusammengehörigkeit über Volksgruppengrenzen hinweg. Doch nicht jede*r fühlte sich davon angesprochen. Nicht alle hatten am Widerstand teilgenommen, manche gar mit den Deutschen kooperiert. Gerade Menschen außerhalb des Kriegsgebiets sprachen Maji-Maji keine herausragende Stellung zu.

1980 wurde das Maji Maji Memorial in Songea errichtet

In Südtansania gibt es Höhlen, in denen sich die Einwohner*innen versteckten und es stehen hier Bäume, an denen die Kämpfer*innen gehängt wurden. Sie sind bis heute wichtige Erinnerungsorte. Der Krieg wurde in Gedichten, Theaterstücken oder Romanen literarisch verarbeitet. Gebäude, Fußballvereine und Straßen wurden nach Maji-Maji oder antikolonialen Widerstandskämpfer*innen benannt und Denkmäler gesetzt. 1980 wurde das Maji Maji Memorial in Songea errichtet, das neben den Gräbern der Widerstandskämpfer*innen auch ein Museum enthält. Jährlich am 27. Februar, zum Jahrestag der Hinrichtungen, wird eine Gedenkfeier abgehalten. Die Nachfahr*innen des getöteten Widerstandskämpfers Songea Mbano sind weiterhin auf der Suche nach dessen Haupt, das vermutlich für rassistische, pseudowissenschaftliche Forschungen nach Deutschland verschleppt wurde. Von deren Nachforschungen erzählt auch der Film »Das leere Grab« (siehe Kasten).

Widerstand, Aufstand, Krieg oder Genozid?

Der Maji-Maji-Krieg wird derzeit nicht als Genozid bezeichnet. Das vorrangige Ziel der Kolonialmacht war die Beendigung des Widerstands und die Unterwerfung der beteiligten Kämpfer*innen (ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit). Das Vorgehen der deutschen Truppen war nicht so systematisch wie beim Massenmord an Herero und Nama – dafür umso entgrenzter. Die Bevölkerungsverluste waren zahlenmäßig größer als bei anderen Kriegen oder Genoziden, aber es gab keinen expliziten Vernichtungsbefehl gegen einzelne Bevölkerungsgruppen. Die Quantität allein sei kein ausreichendes Merkmal zur Genozidbezeichnung, urteilen der Politikwissenschaftler Klaus Bachmann und der Jurist Gerhard Kemp in ihrem Beitrag »Was Quashing the Maji-Maji Uprising Genocide?« im Holocaust and Genocide Studies Journal (2021).

Es gäbe keine Hinweise, dass die Deutschen in Ostafrika bestimmte Bevölkerungsgruppen ausrotten wollten, räumt der Historiker Aert van Riel ein, Autor des Sachbuchs »Der verschwiegene Völkermord«. Mit der Strategie der verbrannten Erde hätten deutsche Truppen jedoch wissentlich und mit genozidaler Absicht dafür gesorgt, dass Menschen massenhaft starben. Zwar fehlte eine ausdrückliche Anordnung, aber die Handlungen und das Ergebnis der deutschen Vernichtungspolitik sprächen dafür, Maji-Maji als Genozid zu bezeichnen.

Auch die genannten Klaus Bachmann und Gerhard Kemp kommen zu dieser Einschätzung und betonen, dass in kolonialrassistischer Manier die ostafrikanische Bevölkerung eben nicht in ihrer Pluralität gesehen wurde, sondern als eine Gruppe wahrgenommen wurde. Der Historiker Oswald Masebo argumentiert schließlich, dass die hohe Opferzahl, die Zerstörung sozialer und politischer Strukturen und die absichtlich herbeigeführte Hungersnot, die auch die Zivilgesellschaft traf, ausschlaggebend seien. Die militärische Reaktion der deutschen Kolonialherren überstieg ihr Ziel von der Beendigung des Widerstands jedenfalls bei weitem.

Entschuldigungen und Ent­schädigungen

Im Jahr 2005 fanden zum hundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns in Deutschland und Tansania durch zivilgesellschaftliches Engagement Gedenkveranstaltungen und Tagungen statt. Von staatlicher Seite gab es in beiden Ländern kaum eine Initiative.

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Das änderte sich. 2017 verkündete der ehemalige tansanische Verteidigungsminister Hussein Mwinyi, dass die Regierung Reparationsforderungen für Maji-Maji verlangen werde. Ein Jahr später jedoch betonte der Außenminister Augustine Mahiga beim Treffen mit seinem Amtskollegen Heiko Maas, dass diese Entschädigungsforderungen nicht der offiziellen Regierungslinie entsprächen. Es gäbe andere Wege der gegenseitigen Unterstützung. 2020 rief Abdullah Possi, der tansanische Botschafter in Deutschland, die beiden Parlamente auf, Verhandlungen über das koloniale Erbe und Wiedergutmachungen erneut aufzunehmen. Derzeit berät eine Kommission über die nächsten Schritte.

Nach dem Besuch tansanischer Aktivist*innen in Deutschland reiste Bundespräsident Steinmeier im November 2023 zum Maji-Maji Memorial Museum. In seiner Rede erwähnte er zwar nicht die Worte »Schuld« oder »Verbrechen«, sprach aber von der gemeinsamen Last einer schwierigen Vergangenheit. Er bat um Entschuldigung: »Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben.«

Dieser erinnerungspolitische Meilenstein wurde von vielen begrüßt. Zivilgesellschaftliche Gruppen in Tansania wie auch in Deutschland fordern jedoch konkrete Handlungen von der deutschen Politik und Gesellschaft. Das sind etwa die Restitution von Kulturgütern, die Repatriierung von Körperteilen und Entschädigungszahlungen. Darüber hinaus soll die Reflexion der Kolonialvergangenheit und rassistischer Afrikabilder in der deutschen Gesellschaft eine größere Rolle spielen. Die Umbenennung der Berliner Petersallee – ursprünglich benannt nach dem ‚Gründer‘ Deutsch-Ostafrikas Carl Peters – in Maji-Maji-Straße bleibt dabei ein kleines Puzzlestück in der kritischen Auseinandersetzung. Unabhängig von der Bezeichnungsdebatte von Maji-Maji als Genozid, macht Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial, klar: »Wir wollen nicht nur unsere entführten Ahnen und Kulturschätze zurück, wir wollen auch eine Entschädigung für das, was unwiederbringlich zerstört worden ist. Es ist an der Zeit, dass sich Deutschland unmissverständlich zu seiner kolonialgeschichtlichen Verantwortung bekennt.«

Henriette Seydel ist Soziologin in München, promoviert über »Colonial Heritage Tourism in Tanzania« und engagiert sich als Vorstandsvorsitzende des Tanzania Network e.V.

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