Filmplakat »Das leere Grab« - menschen stehen im Gedenken um ein leeres Grab in Songea, Tansania
Filmplakat »Das leere Grab« | Presseheft Salzgeben

»Großvater, wo bist du?«

Rezensiert von Josephine Haq Khan

25.06.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 403

Mit »Der vermessene Mensch« kam 2023 eine deutsche Spielfilmproduktion zur eigenen Kolonialgeschichte in die Kinos. Dieses Jahr folgte mit Das leere Grab ein Dokumentarfilm, der sich ebenfalls mit der oft verdrängten Thematik der deutschen Kolonialverbrechen beschäftigt. »Das leere Grab« macht es jedoch auf eine andere Weise: Der Film des deutsch-tansanischen Regisseurinnen-Duos Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay legt den Fokus auf die heutige Zeit. Dabei setzt er sich mit der Suche nach den zu rassistischen Forschungszwecken geraubten Gebeinen tansanischer Menschen auseinander.

Die Trauer und das Trauma werden von Generation zu Generation weitergegeben

»Großvater, wo bist du?« – Die Leitfrage des Films wird zu Beginn von einem kleinen Jungen aus dem Off gestellt. Bei der Suche nach dem Großvater geht es jedoch nicht nur um dessen Gebeine, sondern um mehr. Die Familien können keinen Frieden finden, solange die geraubten Gebeine nicht zu ihnen zurückkehren. Die Trauer und das Trauma werden von Generation zu Generation weitergegeben.

Der Film begleitet die Familie Mbano in der tansanischen Stadt Songea bei der Suche nach den Gebeinen ihres Urgroßvaters Songea Mbano. Dieser war Anfang des 20. Jahrhunderts König in der nach ihm benannten Stadt und spielte eine führende Rolle im Maji-Maji-Krieg (1905 bis 1907), als sich die tansanische Bevölkerung gegen die deutschen Kolonialherren auflehnte. Im Zuge dessen wurde Mbano von den deutschen Kolonialherren erhängt und seine Gebeine nach Berlin gebracht, wo sie vermutlich noch immer sind. Sein Grab in Songea ist deshalb bis heute leer.

Restitution ist ein langer Prozess

Auch die Familie Kaaya in der Region Meru sucht nach den geraubten Gebeinen ihres Vorfahrens. Die Familien haben dabei verschiedene Herangehensweisen: John und Cesilia Mbano versuchen auf eigene Faust die Gebeine zu finden, die Familie Kaaya verlässt sich auf die tansanische Regierung. Beides erweist sich als schwierig.

Gleichzeitig beschäftigen sich auch in Deutschland Menschen mit den Folgen der Kolonialzeit: Der in Berlin lebende Mnyaka Sururu Mboro hat ebenfalls familiäre Verbindungen in die Region Meru. Gemeinsam mit seinem Mitstreiter Konradin Kunze kämpft er für eine Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, zum Beispiel, indem er mit Schulklassen Berlin kolonial-historisch erkundet. Auf ihrer Suche nach den Gebeinen und nach Gerechtigkeit verbünden sich die Menschen über Kontinente hinweg: Mnyaka Sururu Mboro reist aus Berlin nach Meru und trifft dort die Familie Kaaya. John und Cesilia Mbano reisen nach Berlin, wo sie Mnyaka Sururu Mboro und Konradin Kunze treffen, das Humboldt-Forum besuchen und im Auswärtigen Amt empfangen werden – von einer Nachfahrin von Carl Peters, einem führenden Kolonialbeamten. Der Film zeigt außerdem den Besuch von Bundespräsident Steinmeier in Tansania. Dabei entschuldigt sich dieser zwar erstmals offiziell im Namen der Deutschen und gelobt, sich für die Restitution der Gebeine einzusetzen. Doch die Gräber bleiben leer.

Das Ganze ist filmisch gut erzählt. Die Szenenwechsel werden mit dem Vorspulen einer Filmrolle und einem lauten Klicken markiert. Landschaftsszenen werden sparsam und passend eingesetzt, die Musik begleitet die emotionalen Szenen gut. Vor allem für die tansanischen Nachfahren sind einige psychisch stark belastende Momente zu sehen, zum Beispiel als John und Cesilia Mbano die Schädelsammlung des Preußischen Kulturbesitzes besuchen. Der Film fängt diese besonderen Momente ein, ohne voyeuristisch zu sein.

Leider bleibt es bis zum Schluss spannend, um nicht zu sagen frustrierend: Vom Ziel, die Gebeine zu finden und zurückzuholen, scheinen die Familien Mbano und Kaaya am Ende genauso weit entfernt zu sein wie am Anfang. Trotzdem, oder gerade deshalb: Dringende Empfehlung!

Filmgespräch im südnordfunk mit Cece Mlay und Agnes-Lisa Wegner, den beiden Filmemacher*innen der deutsch-tansanischen Koproduktion, sowie mit dem Protagonisten M.S. Mboro.

Das leere Grab. Regie: Agnes Lisa Wegner & Cece Mlay. Deutschland/Tansania 2024, 97 Min., OmU

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 403 Heft bestellen
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen