Buchcover von Frank Bösch: Deals mit Diktatuen. EIne andere Geschichte der Bundesrepublik

Keine folgen­lose Soap

Rezensiert von Georg Lutz

20.06.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 403

Am 08. November 1954 erlebte Bonn ein großes Spektakel. Haile Selassie, der ‚Kaiser von Äthiopien‘, besuchte die junge Bundesrepublik Deutschland. Der Empfang hatte einen barocken Anstrich: Mit goldbestückter Gala-Uniform inklusive Orden, Säbel und einem mit Löwenhaaren verzierten Zweispitz begeisterte der Monarch die Boulevardpresse und das Publikum; Kinder erhielten schulfrei und die Honoratioren von Bonn hatten ihm zu Ehren sogar Kamele und Elefanten eines gastierenden Zirkus auf einer Rheinbrücke platziert.

Westliche Staatsoberhäupter mieden zunächst den Besuch der noch jungen Republik. Dwight D. Eisenhower, als erster US-Präsident im Nachkriegsdeutschland, erlebte 1959, als er Bonn seine Aufwartung gab, noch massiven innenpolitischen Gegenwind. Charles de Gaulle kam erst drei Jahre später aus Frankreich nach Bonn. Erst 1971 betrat das niederländische Königspaar deutschen Boden. In den Ministerien der Bundesrepublik saßen währenddessen viele alte nationalsozialistische Parteigenossen. Berührungsängste der Alliierten im Westen, weggebrochene Märkte im Osten – alsbald orientierte sich die BRD Richtung Süden. Ab Mitte der fünfziger Jahre besuchten schillernde Figuren wie der Schah von Persien oder der indonesische Präsident Achmed Sukarno die Bundesrepublik. Sie pflegten zuhause einen autoritären bis diktatorischen Führungsstil und waren in der Weltordnung des Kalten Kriegs in das westliche antikommunistische Lager eingebunden. Mit ihnen versuchte die Bundesrepublik wieder politische Reputation aufzubauen, neue Wirtschaftsmärkte zu erschließen und alte Kontakte neu aufzufrischen.

In Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik verdeutlicht Frank Bösch die Gratwanderungen bundesdeutscher internationaler Beziehungen. In Sonntagsreden betonte man die gemeinsamen demokratischen Werte, im diplomatischen Alltag und in Hinterzimmer-Gesprächen wurden wirtschaftspolitische Abkommen eingefädelt. Wenn es Druck von Gruppen wie Amnesty International gab, ließ man auch den einen oder anderen Gefangenen frei. Doch in fast allen Beziehungen galt das Motto: Wirtschaft hat Vorrang. Frank Bösch belegt diese These. Auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen zeigt er, wie sich die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem, was wir heute den Globalen Süden nennen, veränderten und wo es Konstanten gab. Dabei überrascht sein lebendiger Stil. Anders als man es von vielen deutschsprachigen Wissenschaftsbüchern gewohnt ist, überzeugt er durch eine eher angelsächsisch geprägte lockere und bildhafte Schreibe, die nur an wenigen Punkten oberflächlich wird.

Alte Nazi-Seilschaften wirkten besonders drastisch in Spanien nach.

Bösch zieht auch Beispiele für Beziehungen, die die BRD innerhalb des heutigen Europas pflegte, zur Hand: nach Spanien, Portugal und ab 1967 Griechenland. Alte Nazi-Seilschaften wirkten besonders drastisch in Spanien nach. In der deutschen Botschaft in Madrid gaben sich in den fünfziger und sechziger Jahren Träger des Ritterkreuz-Abzeichens die Klinke in die Hand und bauten neue politische und ökonomische Netzwerke auf. SS-Offiziere wie Otto Skorzeny fungierten als Berater nicht nur in Franco- Spanien, sondern bauten die argentinische Luftwaffe und ein ägyptisches Raketenprogramm gegen Israel auf. Letzteres zum Glück ohne Erfolg. Im Oktober 1968 besuchte Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger Spanien. Dort entstand ein ikonisches Bild: Das NSDAP-Mitglied Kiesinger verbeugt sich in seinem Frack tief vor dem Uniform tragenden Franco. Ende der sechziger Jahre bröckelte das Franco-Regime. In Deutschland kam Willy Brandt an die Macht, der im Spanischen Bürgerkrieg auf der republikanischen Seite gestanden hatte. Die Unterstützung der noch illegalen Opposition in Spanien nahm zu. Dazu gehörten nicht nur parteipolitische Aktivitäten, sondern auch die Öffentlichkeitsarbeit vieler ‚Gastarbeiter*innen‘ aus Spanien in Deutschland.

Weltwirtschaft und die Deals mit Diktaturen

In seiner Beschreibung der Beziehungen zwischen BRD und Iran gelingt Bösch das markanteste Beispiel für einen Deal mit einer Diktatur. An deren Anfang stand der Sturz eines gewählten Präsidenten. Gegen Mohammad Mossadegh wurde im August 1953 von Seiten einiger Militärs und der USA und Großbritanniens geputscht. Die von ihm geplante Verstaatlichung von Ölfirmen war nicht erwünscht. In der Folge bestieg ein Operettenkaiser den Pfauenthron: Reza Pahlavi. Bildbände über Pahlavi, den Schah von Persien, und seine drei Frauen Fausia, Soraya Esfandiary-Bakhtiary und Farah Diba nahmen neben solchen über John F. und Jackie Kennedy einen dominanten Platz in den Bücherregalen der bundesdeutschen Wohnzimmer ein. Eine folgenlose Soap? Weit gefehlt!

Die Episode war der Beginn des iranischen Dramas, welches bis heute anhält. In den sechziger und siebziger Jahren pflegten der BND und der iranische Geheimdienst SAVAK umfangreiche Beziehungen. Iran stieg zu zum wichtigsten Handelspartner der BRD nach den USA und europäischen Staaten auf. Gegen die Menschenrechtsverletzungen erhob sich aber zunehmender Protest. Der traurige Höhepunkt: der Besuch des Schahs in Berlin im Juni 1967. ‚Prügelperser‘, wie die Presse die vom SAVAK engagierten Schah-Anhänger*innen später nannte, droschen auf Demonstrant*innen ein und der 26-jährige Student Benno Ohnesorg wurde von einem West-Berliner Polizisten erschossen, der auf der Gehaltsliste der Stasi stand. Für Teile einer jungen Generation war dies das zentrale Ereignis ihres politischen Weges: die Initialzündung für die 68er. Iranische Student*innen hatten daran ihren zentralen Anteil. Frank Bösch schafft in Deals mit Diktaturen auch ihnen ein historiografisches Denkmal.

Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik, C.H. Beck, München 2024. 622 Seiten, 32 Euro.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 403 Heft bestellen
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