Haus des indonesischen Punk-Kollektivs Taringbabi
Ort der Kunst: Das indonesische Punk-Kollektiv Taringbabi | Foto: Opang Pen

»Wir schaffen Räume um zu lernen«

Interview mit Mike vom indonesischen Punk-Kollektiv Taringbabi

Das Kollektiv Taringbabi in Indonesiens Hauptstadt Jakarta hat mit kreativer Arbeit und Punkrock seinen politischen Weg gefunden. Dabei haben sie in ihrem Haus einen utopischen Ort geschaffen, der auch die Grenzen der Subkultur überschreitet. Mechthild »Mash« Vacano sprach mit dem Punk-Kollektivisten Mike darüber.

Das Interview führte Mechthild »Mash« Vacano

15.08.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 404
Teil des Dossiers Utopie & Praxis

Mash:* Worum geht es bei Taringbabi?

Mike: Wir haben uns 1997 als Punk-Kollektiv gegründet und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Unseren Lebensunterhalt bestreiten wir gemeinsam. Wir machen Kunst und Musik und schaffen Begegnungsräume. Unser Haus im Süden Jakartas ist offen für alle Menschen, egal mit welchem Background. Das können Punks sein, Musiker*innen, Leute, die auf der Straße leben; Künstler*innen, Kulturschaffende, oder Aktivist*innen; aber auch Lehrer*innen, Unternehmer*innen, oder gar Regierungsbeamte. Es kommen Leute unterschiedlichen religiösen Glaubens zu uns, trans Personen und Queers, Menschen aus anderen Teilen Indonesiens und der ganzen Welt.

Wer zu uns kommt und sich mit unserem Ansatz der Offenheit und Gleichheit identifiziert, ist eingeladen sich einzubringen und zu bleiben. Manche tun das und bleiben ein paar Monate, Jahre, Jahrzehnte, oder nur eine kurze Zeit. Manche gehen und kommen wieder. So erneuern wir uns beständig und es ist oft gar nicht so klar, wer gerade dazugehört. Aus der Anfangszeit sind heute noch Bob und ich da. Wir sind beide auch der Kern der Band Marjinal, die schon immer eng mit dem Kollektiv verwoben war.

Das heißt, ihr könnt euch von eurer Kunst und Musik finanzieren?

Anfangs haben wir vor allem Punk-Merchandise produziert und unsere Kassetten, später auch CDs verkauft. Heute verdienen wir mit verschiedenen kreativen Tätigkeiten Geld. T-Shirts drucken wir noch immer, aber vertreiben sie nun auch online. Außerdem haben wir ein Tonstudio, das andere Bands für ihre Aufnahmen nutzen. Wir designen Kampagnen für uns nahestehende NGOs. All diese Aufträge kommen über unsere Netzwerke herein. So finanzieren wir uns seit 27 Jahren. Das hatte uns am Anfang niemand zugetraut. Aber wir haben allen bewiesen, dass es möglich ist.

Euer Haus ist in einer ganz gewöhnlichen Nachbarschaft gelegen. Welche Rolle spielen eure Nachbar*innen in eurem Selbstverständnis und eurer ‚gelebten Utopie‘?

Das enge Verhältnis zu unseren Nachbar*innen pflegen wir sehr bewusst, auch wenn diese Strategie aus der Not geboren ist. In den ersten Jahren nach unserer Gründung, hatten wir große Probleme eine feste Bleibe zu finden, weil es immer Probleme mit der Nachbarschaft gab. Dafür muss man wissen, dass hier jede Nachbarschaft ihre eigene Organisation hat, die dafür sorgt, dass sich alle Anwohner*innen an ihre Regeln halten. Diese lokalen Ordnungshüter*innen haben uns schon allein unserer Tattoos und bunten Haare wegen abgelehnt. Aber auch vom Lebensstil her sind wir als Punk-Kollektiv aus der Reihe gefallen. Darum mussten wir ständig umziehen.

»Wir haben uns und unser Haus geöffnet«

2002 sind wir dann in die jetzige Nachbarschaft gezogen, die genauso konservativ und feudalistisch geprägt war wie alle zuvor. Hier aber sind wir von Beginn an auf die Leute zugegangen. Wir haben uns und unser Haus geöffnet und den Leuten gezeigt was wir machen und wofür wir stehen. Für unsere Nachbar*innen hat das völlig neue Perspektiven eröffnet. Sie haben uns als Menschen kennengelernt, nicht nur als ‚kriminell‘ aussehende Punks. So haben sie uns mit der Zeit akzeptiert, und mehr noch: sie sind zum Teil unseres Projekts geworden und beschützen uns inzwischen auch. Das war eine wichtige Erfahrung, die unser Projekt auf jeden Fall geprägt hat. Und auch wir haben von unseren Nachbar*innen viel gelernt.

Inzwischen konntet ihr euer Haus kaufen. Wie kam es dazu und was bedeutet das für euer Projekt?

Bis 2017 hatten wir unser Haus gemietet und mussten ständig befürchten, gekündigt und vertrieben zu werden. Damals gab es einen Eigentümerwechsel und es trat das ein, was wir immer befürchtet hatten: Der neue Eigentümer wollte uns raushaben. Wir konnten ihn zwar dazu bringen, das Haus direkt wieder an uns zu verkaufen, nur hatten wir dafür wenig Zeit und gar kein Geld. Das Geld fließt bei uns immer gleich wieder raus, sobald es reingekommen ist. Als Marjinal haben wir inzwischen aber gute Kontakte in die japanische Punkszene. Mit deren Unterstützung konnten wir unser Haus binnen weniger Tage kaufen. Damit hat sich auch unsere Position in der Nachbarschaft nochmal geändert. Denn als Mieter*innen waren wir wie ein Baum ohne Wurzeln. Jetzt, da uns das Haus gehört, sind wir verwurzelt. Damit ist unser Verhältnis zu unseren Nachbar*innen nur noch enger geworden. Inzwischen choreografiere ich sogar die Frauen aus der Nachbarschaft bei ihrer Tanz-Performance zur jährlichen Feier des Unabhängigkeitstags.

Die Solidarität, die wir von unseren Freund*innen aus Japan erfahren haben, hat uns aber auch gezeigt, wie wichtig tragfähige Netzwerke sind. Und die entstehen nicht von alleine. Eine solche Verbundenheit muss aufgebaut und gepflegt werden. Nur so können wir uns gegenseitig stärken und unterstützen. Darum ist Vernetzung ein ganz zentraler Aspekt unserer politischen Arbeit.

Mike malt ein Gemälde vor dem Haus des Punk-Kollektivs
Ort der Kunst: Das indonesische Punk-Kollektiv Taringbabi | Foto: Opang Pen

Wenn man sich eure Entwicklung anschaut, habe ihr mit vielen ‚Anti-s‘ im Namen begonnen, die ihr inzwischen alle abgelegt habt. Inwiefern steht das für eine Veränderung in eurem politischen Ansatz?

Als Kollektiv haben wir unter dem Namen Antifaschistische Antirassistische Aktion angefangen, ganz nach internationalem Vorbild. Und unsere Band hieß in den ersten Jahren Anti-Militari. Dieser Name war eine klare Positionierung gegen das autoritäre, militaristische Suharto-Regime. Dieser Widerstand war zunächst das Vorzeichen unseres Aktivismus. Auch nach dem Sturz von Suharto 1998 blieb das Erbe seiner ‚Neuen Ordnung‘ präsent. Wir leben also weiter in einem System, das wir ablehnen.

Aber wir haben inzwischen erkannt, dass wir für eine Zukunft kämpfen müssen, für eine bessere Gesellschaft und das Leben der zukünftigen Generationen. So sind wir dazu übergegangen, uns auf die positiven Ansätze zu fokussieren, auf die Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten, die da sind. Getreu dem Prinzip: das Meiste aus dem Wenigen herauszuholen, was man hat. Diese Erkenntnis kam auch aus unserer Erfahrung mit der Nachbarschaft. Anstatt unsere ganze Energie auf die Kritik am System zu richten, das trotzdem nur seine Ohren und Augen verschließt, stecken wir sie lieber in die Kommunikation mit der Gesellschaft. Wir treten in den Austausch und schaffen Räume, um voneinander zu lernen und gemeinsam eine kritische Gesellschaft aufzubauen, die nicht länger alles hinnimmt, sondern für Veränderung eintritt.

Ein Lied, das du für Marjinal geschrieben hast, beginnt mit den Worten »Versuch dir eine Zukunft vorzustellen…«. In welche Zukunft lädst du uns damit ein?

Es geht um eine Utopie von Freiheit, um eine Welt, in der alle Menschen sie selbst sein können, und sich nicht länger unterordnen müssen. Die persönliche Freiheit wird in unserer Gesellschaft mit den Füßen getreten. Von klein auf werden wir dazu erzogen uns anzupassen und den Normen zu entsprechen. Uns wird eingeimpft uns zu schämen, wenn wir aus der Reihe fallen. Eine eigene, unabhängige Meinung wird nicht gefördert, kritisches Denken unterbunden. All das geschieht im Namen kommunaler Werte, des guten Zusammenlebens in einer Gesellschaft, deren Regeln von religiösen oder lokalen Autoritäten ausgelegt werden. Statt uns auf unsere eigene Erfahrung und unseren Verstand zu verlassen, sollen wir glauben, was uns von diesen Autoritäten erzählt wird – ohne Widerspruch.

Davon müssen wir uns freimachen. Dafür brauchen wir Räume, in denen wir lernen und uns ausprobieren können. Wir müssen Selbstvertrauen entwickeln und dafür brauchen wir Bildung. Aber das Bildungssystem in Indonesien versagt, weil es viele Hürden hat und uns nur beibringt mitzulaufen. Darum verstehen wir Taringbabi auch als ‚Welt-Schule‘, als Ort gemeinsamen Lernens, wo Leute über soziale Grenzen hinweg zusammenkommen und miteinander frei werden. Der Austausch mit anderen ist die Quelle kritischen Bewusstseins.

Du entwickelst diese Utopie ausgehend vom Individuum. Welche Rolle spielt dabei Gemeinschaft?

Ich denke das nicht getrennt voneinander, nur betone ich das Individuum, weil kommunale Werte in der indonesischen Gesellschaft hochgehalten und vorausgesetzt werden. Es geht mir um ein gemeinsames Projekt der Befreiung. Wir brauchen uns gegenseitig, um frei zu sein. Darum ist Taringbabi nicht nur ein Freiraum für uns, sondern ein offener Freiraum für alle, welchen wir sehr bewusst als Ort der Begegnung gestalten. Wir haben darum auch die Vision, unser Haus so umzubauen, dass im Erdgeschoss ein großer öffentlicher Raum entsteht, der von allen genutzt werden kann, von Aktivist*innen, Künstler*innen, und Leuten aus der Nachbarschaft. Aufgrund der derzeitigen Wende zugunsten reaktionärer Kräfte in Indonesien werden solche Räume seltener. Umso wichtiger ist es, dass wir eigene Räume schaffen. Letztendlich gibt uns nur der Austausch mit anderen die Energie um weiterzumachen.

Das Interview führte und übersetzte Mechthild »Mash« Vacano.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 404 Heft bestellen
Unsere Inhalte sind werbefrei!

Wir machen seit Jahrzehnten unabhängigen Journalismus, kollektiv und kritisch. Unsere Autor*innen schreiben ohne Honorar. Hauptamtliche Redaktion, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit halten den Laden am Laufen.

iz3w unterstützen