schwarzes Graffity auf heller Mauer mit der Aufschrift OBEY - steht für Autoritarismus
Graffity: Obey | Andrea de Santis Unsplashed

Krasse Krise und ein Ruck nach Rechts

Editorial

»Noch reparabel? – Die Vielfachkrise« hieß die letzte iz3w. Es ging um die globale ökonomische Krise. Die industrielle Konsumgüterindustrie ist am Ende und Ersatz ist nicht in Sicht. Die Landwirtschaft steckt in der Landwirtschaftskrise, der Servicesektor in der Dienstleistungskrise, der Pflegebereich im Pflegenotstand, der informelle Sektor ist schon immer die Krise schlechthin (iz3w 386), die fossile Brennstoffgewinnung fliegt aus der Kurve, die Patentlösung mit dem Wachstum funktioniert auch nicht mehr... Und damit nicht genug. Alte Notlagen verschränken sich mit neueren: der Coronakrise, Lieferkettenengpässen, dem beginnenden Handelskrieg mit China, dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine – und dann ist da noch die ‚gute alte‘ Inflation. Mit letzterer geht es zur Vielfachkrise auf Seite 19 dieses Heftes weiter – in der Türkei.

Die Unsicherheiten haben auch Folgen für die politische Wetterlage. Die verändert sich so desaströs wie die meteorologische. Zur politischen Großwetterlage sieht die iz3w seit längerem: Es gibt eine autoritäre Wende. Aber mal ehrlich, so viel gibt es gar nicht mehr zu wenden.

Das neuerdings bevölkerungsreichste Land der Welt hat jetzt zum dritten Mal in Folge eine autoritäre Regierung gewählt: Die hindunationalistische BJP und ihr Präsident Narendra Modi regieren weiter. Sie verloren zwar die absolute Mehrheit, aber schon wenige Tage nach der Mammutwahl mit 970 Millionen Wahlberechtigten stand das von der BJP dominierte mehrheitsfähige Parteienbündnis Nationale Demokratische Allianz (NDA). Die gesunkene Zustimmung für Modi liegt nicht zuletzt an den beharrlich steigenden Lebenshaltungskosten, Inflation und Arbeitsmarktversagen. Seit über zehn Jahren verspricht die BJP Sicherheit und Wachstum. Aber spürbare Verbesserungen für die ärmeren Schichten gibt es nur bedingt. Dafür haben Statements gegen Muslime Hochkonjunktur und Indien rangiert inzwischen in der Rangliste der Pressefreiheit von »Reporter ohne Grenzen« nur noch auf Platz 159 von 180.

Schauen wir uns ruhig noch etwas weiter um. Die gleich bevölkerungsreiche Volksrepublik China hält ihre 1,4 Milliarden Menschen konsequent in Schach. Wer sich in der ‚Volksrepublik‘ etwa für eine freie Arbeiter*innenvertretung ausspricht, riskiert viel. Amnesty International konstatiert alljährlich staatliche Folter, willkürliche Inhaftierungen, Berufsverbote und Einschränkungen in der Meinungs-, Presse-, Religions-, Bewegungs- oder Berufsfreiheit.

Der Autoritarismus ist, das deutet diese kleine Rundschau an, in verschiedenen Ausprägungen weit verbreitet.

Land Nummer 3 nach Bevölkerung sind die USA. Nach Umfragen führt dort in der Wählergunst der antidemokratische Rechtspopulist Donald Trump. Viertens hat Indonesien einen Rechtsruck hinter sich, seit im Februar Ex-General Prabowo Subianto als Sieger aus der letzten Wahl hervorging. Früher in die Suharto-Diktatur verwickelt, suchte er zuletzt die Nähe zu nationalistischen und islamistischen Kreisen. Dann Brasilien. Das Land hat gerade eine Präsidentschaft des rechtsextremen Jair Bolsonaro hinter sich. Zum Glück regiert jetzt Lula! Allerdings verhindert er nicht, dass das Wirtschaftsbündnis der BRICS-Staaten zum Diktatorenclub wird, indem es Ägypten, Äthiopien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die islamistische Folterdiktatur Iran aufnimmt. Das nächste Land, Pakistan, kann als Fallbeispiel schlechthin für einen Militärstaat bezeichnet werden (iz3w 390). Nigerias letzte Wahlen waren von Gewalt begleitet (iz3w 396: Entzauberte Licht­gestalt). Die jüngsten Wahlen im nächstbevölkerungsreichen Nigeria waren nach der iz3w 396 etwas seltsam, also, »diverse Schlägertrupps malträtierten Wähler*innen und behinderten die Stimmabgabe, bezahlte Rowdies entwendeten gewaltsam Wahlurnen. Dutzende wurden vor, während und nach den Wahlgängen Opfer von Gewalt. Hetzkampagnen, angereichert mit ethnisch-religiösen Untertönen, zählten zum politischen Grundgerüst der wichtigsten Akteure«. Und von Bangladeschs Wahlen zeigte sich etwa der Österreichische Rundfunk als »Wahlen fast ohne Opposition« wenig begeistert. Das nächstgrößte Land Russland mit seinen 146 Millionen Menschen regiert nicht nur nach innen, sondern auch nach außen zunehmend diktatorisch, indem es die Ukraine für ihr Abweichlertum mit dem permanenten Angriffskrieg überzieht. Mit dem zehntgrößten Land Mexiko sei der kurze Rundblick abgeschlossen: Der aktuelle Wahlgang war von Gewalt überschattet, zahlreiche Kandidat*innen wurden massiv bedroht und angegriffen und 37 Kandidat*innen wurden ermordet. Die Gewalt geht größtenteils von der organisierten Kriminalität aus (iz3w 389), die als ein Baustein des antidemokratischen autoritären Blocks gewertet werden muss.

Der Autoritarismus ist, das deutet diese kleine Rundschau an, in verschiedenen Ausprägungen weit verbreitet. Auch bei den Wahlen zum EU-Parlament legten die rechten Bündnisse zu.

Zurück zum Anfang. Die globale Rechte profitiert vom ökonomischen Strukturwandel. Mit der realen Verunsicherung, die dieser erzeugt, macht sie Politik. Angst und Ressentiments werden geschürt und überall Scheinprobleme erfunden, um mit autoritären Scheinlösungen zu reagieren – Stichwort ‚Remigration‘. Überzeugende Fürsprecher*innen für die sozial verträgliche Regulierung der Krisen oder gar für den radikalen Umbau sind kaum in Sicht. Immerhin, auch die Rechten jammern und das Feld bleibt umkämpft. Natürlich ist die Frage zu komplex, um sie hier schnell einzutüten. Es braucht gute Antworten auf die Krise. Wir versuchen weiter mit unseren Dossiers und mit jedem Jahrgang, eine Geschichte zu erzählen, die Antworten zu den Krisen inspiriert, die wir jetzt brauchen.

die redaktion

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 403 Heft bestellen
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