Portrait von Fabian Flues, Referent für Handels- und Investitions­politik bei der NRO Power­shift
Fabian Flues ist Referent für Handels- und Investitions­politik bei der Nicht­regierungs­organisation Power­shift. | Foto: Bernhard Ludewig

»Ein paralleles Rechts­system«

Interview mit Fabian Flues über Investitions­schutz­gesetze

Im Frühjahr 2023 vereinbarten die deutsche und die kolumbianische Regierung eine Klima- und Energiepartnerschaft. Doch was ist, wenn Konzernklagen den Ausstieg aus der Förderung fossiler Energien verhindern? Die iz3w bringt dazu ein Gespräch mit Fabian Flues: Was macht der sogenannte Investorenschutz mit der Umweltgesetzgebung und mit den Menschenrechten? Fabian Flues arbeitet bei der NGO PowerShift in Berlin und beschäftigt sich mit internationalen Wirtschaftsthemen.

Das Interview führte Antje Vieth

20.06.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 403

Antje Vieth: Die Bundesregierung schreibt, Investitionsschutzverträge seien notwendig, um unterschiedliche Rechtsauffassungen auszugleichen. Aber welches Verhältnis hat der Investitionsschutz auf Menschenrechts-und Umweltschutzgesetzgebungen? Und wie wirkt er sich auf die Lebenssituation im Globalen Süden aus?

Fabian Flues: Der Investorenschutz ist eine Art paralleles Rechtssystem, in dem international operierende Investoren Staaten verklagen können, wenn sie denken, dass ihre Eigentumsrechte verletzt wurden. Dagegen können Staaten ihrerseits keine Investoren verklagen. Verhandelt werden diese Klagen vor eigenen Schiedsgerichten. Diese stehen über den Staaten und auch über den staatlichen Rechtsinstitutionen wie Verfassungsgerichten. Sie sind somit eine Art Weltverfassungsgericht für Eigentumsrechte von Unternehmen. Wenn ein Staat zum Beispiel stärkere Klimaschutzgesetze erlässt oder auf die Einhaltung von Menschenrechten pocht, dann kann ein Unternehmen ein Schiedsgericht zusammenstellen, das über diesen Fall verhandelt. Entscheidet das Schiedsgericht zugunsten des Unternehmens, muss der Staat hohe Entschädigungen zahlen. Das schließt in vielen Fällen vergangene und zukünftige Profite ein, die dem Unternehmen mit seiner Investition entgangen sein könnten.

Gibt es Fälle, wo die Investitionsschutzgesetze aus einer Perspektive des Globalen Südens eine Berechtigung hatten?

»Unternehmen des Globalen Nordens verklagen Staaten des Globalen Südens«

Weltweit wissen wir von circa 1.400 Fällen, die unter diesem System verhandelt wurden. Das sind wesentlich mehr, als es zum Beispiel im Handelsbereich gibt. Im Rahmen dieser Fälle finden ganz eindeutig Attacken gegen Umweltschutz, Menschenrechte und die Möglichkeiten von Staaten, Unternehmen zu regulieren, statt. Das Problem bei diesen Verfahren ist, dass sie an das Handeln von Staaten hohe Maßstäbe anlegen. Der Staat darf im Umgang mit Unternehmen eigentlich keine Fehler machen. Wenn er das in irgendeiner Weise macht, besteht die Möglichkeit, über diese Schiedsgerichte sehr hohe Entschädigungszahlungen einzuklagen. Aus der Perspektive der Länder des Globalen Südens ist das ein Verlustgeschäft. Es gibt keine Belege dafür, dass sie dadurch etwa mehr Investitionen bekommen würden. Sehr viele Unternehmen aus dem Globalen Norden verklagen Länder des Globalen Südens. Es gibt nur ganz wenige Fälle, wo es umgekehrt ist.

Sind die Klagen, die vor Schiedsgerichten verhandelt werden, einsehbar?

Das System ist sehr intransparent. Es gibt keine Verpflichtungen, um diese Fälle öffentlich zu machen. Wir gehen davon aus, dass es eine höhere Dunkelziffer an Fällen gibt. Es gibt ein paar Datenbanken, die versuchen diese Fälle zu tracken, die beste davon wird von der UNCDAT von der UN Behörde für Handel und Entwicklung betrieben. Die Anhörungen laufen hinter verschlossenen Türen ab, häufig in Hotelzimmern oder Konferenzräumen anstatt vor Gerichten.

Die Regierung Kolumbiens hat Zugeständnisse gegenüber den indigenen Wayuú Gemeinden gemacht, um deren Menschenrechte besser zu schützen. Das Rohstoff-Unternehmen Glencore hat dagegen geklagt. Wie viel Handlungsspielraum hat die Regierung jetzt?

Der Spielraum, den ein Staat hat, wenn er verklagt wird, ist allgemein sehr gering. Für die Zusammensetzung eines Schiedsgerichts nominiert das klagende Unternehmen einen Schiedsrichter, der verklagte Staat einen Zweiten, über die dritte Person muss sich irgendwie geeinigt werden. Die Auswahl dieses dritten Schiedsrichters ist entscheidend. Die Ernennung als Richter an einem Schiedsgerichtshof setzt keine spezielle Berufsqualifikation voraus.

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Was in der Regel in den Verfahren keinen Erfolg hat, ist, sich zum Beispiel auf menschenrechtliche Verpflichtungen zu beziehen. Sie spielen bei den Schiedsgerichten und auch in den meisten Investitionsschutzverträgen keine Rolle. Wenn es Staaten gelingt, solche Verfahren abzuwehren, dann meist durch verfahrensrechtliche Fragen. Diese Schiedsgerichte stehen über den Staaten und über den stattlichen Rechtsinstitutionen wie Verfassungsgerichten.

Die Investitionsrechte stehen über den Menschenrechten?

Das Besondere an diesen Schiedsverfahren ist, dass die Urteile sich weltweit umsetzen lassen. Hat ein Investor ein Verfahren gewonnen und wurde zum Beispiel der kolumbianische Staat zu einer hohen Entschädigungszahlung verurteilt und weigert sich zu zahlen, dann kann der Investor mit dem Schiedsspruch an einem anderen Ort der Welt vor Gericht gehen und Vermögenswerte, die dem kolumbianischen Staat gehören dort einziehen lassen. Dadurch ergibt sich ein unheimlich starker Durchsetzungsmechanismus. Das führt dazu, dass Staaten diese Urteile oft befolgen. Solche Mechanismen existieren im menschenrechtlichen Bereich übrigens nicht. Deswegen stehen die Rechte von Unternehmen, zumindest in der Praxis, über den Menschenrechten.

Wird das staatliche System durch diese Paralleljustiz infrage gestellt?

Ja absolut, in Deutschland stehen selbst konservative Organisationen wie der deutsche Richterbund diesen Verfahren äußerst kritisch gegenüber. Die Schiedsgerichte und ihre Verfahren untergraben nationale und europäische Rechtssysteme. Es gab mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EugH) dazu, in denen innerhalb der EU solche Verfahren grundsätzlich verboten wurden, da sie das Rechtssystem des jeweiligen Landes aushebeln. Innerhalb der EU sollten solche Verfahren eigentlich gar nicht mehr stattfinden dürfen. Die Schiedsgerichte setzen sich jedoch darüber hinweg. Und sie fällen Urteile, die auch außerhalb der EU vollstreckt werden können.

Ist das EU-Lieferkettengesetz ein Werkzeug, um hier einen Ausgleich zu schaffen?

Das Lieferkettengesetz ist für Schiedsgerichte und Verfahren irrelevant. Ein Unternehmen, das gegen das Lieferkettengesetz verstößt und dafür zur Rechenschaft gezogen wird, könnte jedoch dagegen vor einem Schiedsgericht klagen. Im Zweifelsfall wird das Investitionsschutzgesetz das stärkere Gesetz sein, weil es sich in der ganzen Welt transnational durchsetzen lässt.

Gibt es Länder, die sich nicht auf die Investitionsschutzgesetze eingelassen haben oder wieder ausgetreten sind?

Brasilien hat diese Gesetze nicht unterschrieben, Ecuador, Bolivien und Venezuela haben ihre Verträge aufgekündigt. Viele dieser Verträge beinhalten aber eine Klausel, die als antidemokratisch kritisiert und als »Zombieklausel« bezeichnet wird, da diese Verträge nach dem Ausstieg noch über fünfzehn oder zwanzig Jahre weiter gelten. In Ecuador, wo diese Verfahren nicht mehr erlaubt sind, hat die neue rechte Regierung vor kurzem versucht, dieses Verbot aufzuheben. Aber in einem Referendum Ende April sprachen sich 65 Prozent dafür aus, das Verbot aufrecht zu erhalten.

In Honduras gibt es, seitdem dort die Linke regiert, eine hohe Anzahl an neuen Verfahren. Allen voran steht die Klage des Unternehmens, welches die autonome Investoren-Enklave »Próspera« plant. Auf 23 Hektar soll dort im Dschungel eine komplett private Stadt entstehen. Sollte das Unternehmen die Klage gewinnen, könnte das Honduras mehr als 10,7 Milliarden US-Dollar kosten. Dies wären zwei Drittel des öffentlichen Budgets und würde den Staat in den Bankrott treiben.

Warum haben die Klagen in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen?

Dies geschah erst, als Anwält*innen herausgefunden haben, was für weitreichende Rechte die Unternehmen in den Schiedsgerichtsverhandlungen haben – und was für hohe Entschädigungen Unternehmen zugesprochen bekommen, wenn sie eine Klage gewinnen. Diese Anwält*innen haben systematisch daran gearbeitet, neue Fälle zu schaffen. Sie sind mit konkreten Vorschlägen auf Unternehmen zugegangen, um gemeinsam Geld zu generieren. Die Entschädigungssummen haben keine Begrenzung und können in die Milliarden Euro gehen. Deshalb sind diese Klagen in den letzten zwanzig Jahren so stark angestiegen, obwohl das System eigentlich schon länger existiert.

Wer ist daran beteiligt?

Oft handelt es sich um globale Kanzleien mit Sitz in Europa und den USA, aber auch um Büros aus Ländern des Globalen Südens. Es sind Konzerne mit vielen hundert Millionen oder Milliarden Dollar Umsatz. Mit diesen Verfahren ist mehr Geld zu verdienen als mit Prozessen an nationalen Gerichten. Investitionsfonds haben ebenfalls damit begonnen, in diese Verfahren zu investieren. Sie übernehmen alle Kosten, die für Unternehmen in solch einem Verfahren anfallen. Wenn der Fall gewonnen wird, bekommen sie dafür zwischen 30 und 50 Prozent von der Entschädigungssumme. Das reduziert das Risiko für die beteiligten Unternehmen, weil sie überhaupt nichts mehr zahlen müssen und im Zweifel hohe Gewinne machen.

Das Interview führte Antje Vieth, Journalistin und Radiomacherin. Sie arbeitet u.a. für Radio Onda beim Nachrichtenpool Lateinamerika.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 403 Heft bestellen
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