
Mit allen Wassern gewaschen
Rezensiert von Patrick Helber
14.02.2025
Veröffentlicht im iz3w-Heft 407
Elif Shafak zählt seit Jahren zu den populärsten Schriftstellerinnen der Weltliteratur (iz3w 400). In ihren Romanen kombiniert die britisch-türkische Bestsellerautorin gekonnt kontroverse Themen der türkischen Gegenwart. In ihrem jüngst erschienenen Roman Am Himmel die Flüsse verhandelt sie unter anderem den Genozid an den Ezid*innen und die Frage nach Wasser in Zeiten der menschengemachten Klimakrise. Dabei versteht sie es, Vorstellungen des ‚Orients‘, historische Begebenheiten und feministische Ansätze der Gegenwart zu verbinden. Ihre Geschichten sind spannend, ihre literarischen Figuren berührend und ihre Denkanstöße emanzipatorisch. Die in Strasburg geborene Autorin nutzt ihre türkische und kosmopolitische Sprecherinnenposition als Marketingkapital in Zeiten des identitätspolitischen Schreibens.
In »Am Himmel die Flüsse« geht es um die vom Islamischen Staat seit 2014 verfolgten, ermordeten oder versklavten Ezid*innen, dargestellt in der Romanfigur Narin. Bei einer Reise von Hasankeyf ins irakische Laliş-Tal gerät sie in die Gewalt der Islamisten. Elif Shafaks Geschichten spielen wie auch ihr aktueller Roman nicht nur in der Türkei, sondern sie inkludieren mit Blick auf das internationale Lesepublikum Räume im globalen Norden. In ihrem neuesten Roman verflechten sich die Erzählungen um drei Protagonist*innen zwischen dem historischen und dem gegenwärtigen Mesopotamien mit dem London des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart. In einem Handlungsstrang um den Keilschrift-Nerd Arthur darf auch Charles Dickens nicht fehlen, was unterstreicht, wie der Roman immer auch den Kontakt zum Kanon der europäischen Literatur sucht.
Ergänzt wird die Erzählung von Arthur und Narin durch die Wissenschaftlerin Zaleekhah, die sich als Teil der ezidischen Diaspora 2018 mit dem Wassermolekül und verschwundenen Flüssen beschäftigt. Zwischen den Ufern von Themse und Tigris nimmt sich Shafak viel Zeit für teils zu blumige und kitschige Wasseranekdoten und Weisheiten und bedient sich klischeebeladener Figuren wie dem armen Genie, der weisen mesopotamischen Großmutter aus einfachsten Verhältnissen oder dem reichen migrantischen Unternehmeronkel in seiner Villa. Wer sich an märchenhaften Elementen nicht stört, wird bei der Lektüre von »Am Himmel die Flüsse« zufrieden sein. Man lernt viel über Euphrat, Tigris und Themse, das Gilgamesch-Epos, assyrische Schutzdämonen und nicht zuletzt über die vergessene Göttin der Erzählkunst Nisaba. Sie ist eine der vielen starken Frauen, die in Shafaks Büchern zu Wort kommen.