Auf dem Cover des Buches ist der Autor Stuart Hall zu sehen

Verhängnis­volle Differenz

Rezensiert von Winfried Rust

14.08.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 404

Vor 30 Jahren hielt der Kulturtheoretiker Stuart Hall in Harvard seine Vorlesungen über Das verhängnisvolle Dreieck – Rasse, Ethnie, Nation. Darin setzte er sich mit »dem Wesen kultureller Differenz« auseinander. Im Jahr 2017 wurden die Vorlesungen postum veröffentlicht, 2018 kamen sie in der deutschen Übersetzung heraus. In dieser Zeit des aufstrebenden rechten Kulturkampfes und des Brexits lobte man die »frappierende Aktualität« und »prognostische Treffsicherheit« der Texte. Jetzt sind sie als Suhrkamp Taschenbuch erschienen. Und weil gerade das rassistische Grenzregime an der EU-Außengrenze nachbefestigt wird und die tödliche Ethnisierung im sudanesischen Bürgerkrieg, sowie der nationalistische Militarismus Russlands wütet, bleibt Halls Kritik an solcher »Differenz« so aktuell, als ob sich gar nichts geändert hätte. Dabei ändert sich viel. Gerade das ist eine Stärke des Soziologen Hall, dass er auch die Transformationen der Gehalte von race, Ethnie und Nation aufgezeigt hat.

Regressive Krisen­bewältigung funktioniert über Aus­grenzung

Hall beginnt seine Analyse der Differenzproduktion mit dem ‚Rasseparadigma‘. Diese Differenz wurde am Körper festgemacht und zunächst biologisch begründet. Das Paradigma ‚Rasse‘ wurde widerlegt und nach dem Ende des historischen Faschismus zunehmend tabuisiert. Von der Neuen Rechten wurde es aber als kulturelles statt biologisches Phänomen erneuert, im Mainstream dann von den Differenzproduktionen durch Ethnie und Nation abgelöst. Hall führt das differenziert aus – und insistiert dennoch darauf, dass der alte biologische Rassismus wirkungsmächtig bleibt. Dessen Widerlegung hebt ja keine Wirkungsmacht auf. Mit W.E.B. Du Bois beschreibt er die anachronistisch anmutende Differenzierung durch sichtbare körperliche Eigenarten. Hall zitiert W.E.B. Du Bois damit, »das ‚Mal‘ und das ‚Abzeichen‘ sind deshalb so höchst wichtig, weil sie signifizieren, weil sie eine bestimmte Bedeutung tragen, weil sie, anders ausgedrückt, Signifikanten von Differenz sind«. Die Hautfarbe bleibt ein probates Mittel der Differenzproduktion, auch wenn es inzwischen mehr kulturell als biologisch ausgeprägt wird.

Vom ‚Rasseparadigma‘ als Stifter von »Bedeutungsgemeinschaften« lenkt Hall zur »Rückkehr der Ethnizität« über. Sie ist als Form »kultureller Identität« wirksam. Der Widerstand dagegen kann ebenfalls Formen der Identitätspolitik annehmen. In aller Ruhe analysiert Hall die Widersprüchlichkeit ethnisierter Protestkultur wie der der Rastafari. Sie kann helfen, aber sie reproduziert auch das Problem. Mit der positiven Besetzung von Ethnizität seitens unterdrückter Gruppen ging die »Rückkehr der Ethnizität unter den Bedingungen der Globalisierung« einher. Das Ende der Differenzproduktion blieb bisher jedenfalls aus.

Der dritte Term ist Nation, die »sowohl zur ,Rasse‘ als auch zur Ethnizität in einem komplexen und ambivalenten Verhältnis steht«, aus dem sie mit unbedingter Macht hervorgeht. Hall zitiert den Theoretiker des Nationalismus Ernest Gellner mit dem Vergleich, »ein Mensch braucht eine Nation, so wie er eine Nase und zwei Ohren haben muss«. Unbestritten seiner Wirkungsmacht zeigt Hall auf, wie das Nationale historisch entstanden ist, also auch wieder aufhebbar wäre, aber momentan von Krisen, Transformation und Wiederauferstehung bestimmt ist. Regressive Krisenbewältigung funktioniert über Ausgrenzung und passenderweise ist die Nation »in Wirklichkeit immer schon durch und über Differenzen hinweg konstruiert worden«. Eingedenk seltener fortschrittlicher Varianten republikanischer Gesinnung weist Hall auch auf die Abgründe im Konzept Nation hin. Treten diese zum Vorschein, dann »ist das Ergebnis dieser Rückkehr zu geschlossenen Formen der ethnischen Nation, natürlich die Barbarei der ethnischen Säuberung«. 1994 wies Hall bereits auf die Gefahr des Hindunationalismus in Indien hin. 2024 hat ein Parteienbündnis um die hindunationalistische BJP in Indien die dritte Wahl in Folge gewonnen. Der Wahlkampf war von der Stimmungsmache gegen Muslim*innen geprägt. Aktualität ist bei den Vorlesungen von Stuart Hall nicht von der Hand zu weisen. Die eigentliche Inspiration geht jedoch von seiner radikalen Denkweise aus.

Stuart Hall: Das verhängnisvolle Dreieck – Rasse, Ethnie, Nation. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024. 212 Seiten, 20 Euro.

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