Cover »Der Afrik« von Sven Recker Roman Rezension

Der Rückkehrer

Rezensiert von Winfried Rust

11.12.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 400

Wenn man vom iz3w aus den Freiburger Schönberg entlang nach Westen geht, ist man bald in Afrika. Über dem Weindorf Pfaffenweiler liegt ein Flurstück mit genau diesem Namen. Afrika ist ein mit Weinreben bepflanzter Hang, von dem aus man einen guten Blick auf das Weindorf Pfaffenweiler, das Markgräfler Land und bei guter Sicht auf den Schwarzwald und die Vogesen hat. Seinen Namen bekam das Flurstück, weil Pfaffenweiler es Mitte des 19. Jahrhundert verkaufte, um die Ausreise seiner Armutsbevölkerung nach Algerien zu ermöglichen. Damals waren große Gebiete des Deutschen Bundes von Hungerkrisen und einer Auswanderungswelle, heute würde man sagen von Wirtschaftsflucht, betroffen. Die Pfaffenweiler Migrationsgeschichte ist ein klaffender Abgrund: Man schickte im Jahr 1853 die lästigen Hungerleider des Dorfs mit falschen Versprechungen nach Algerien ins Verderben. Übrig blieb im fiktiven Roman von Sven Recker nur Der Afrik, der einzige, auch lokalhistorisch verbürgte, Überlebende und Rückkehrer.

Er ist nicht erwünscht in der Heimat, wo er nur der Afrik genannt wird. Und er selbst hasst die Leute, die ihn verstoßen und seine Familie ins Verderben geschickt haben. Sein Lebensziel steht im ersten Satz des Romans. Er will »Afrika mit einem lauten Knall in die Luft jagen«. Dafür hat er als Bergarbeiter jahrelang Dynamit abgezweigt und das Areal Afrika mit einem Tunnel untergraben. Jetzt ist der Afrik alt und der Tag der Abrechnung nah. Sven Recker zeichnet den Afrik als Einzelgänger, der alleine oberhalb des Dorfes in einer alten Hütte haust. Er spricht kaum, mit wem und warum auch. Die Sprache reduziert sich auf einzelne Worte, die der Afrik zumeist sich selbst sagt. Er benennt Aktionen, die anstehen. Zum Beispiel:

»Kaffee!« »Anziehen!« »Graben!« »Zündschnur!«

Ein Begleiter von ihm ist der Nachtkrapp. Das ist ein Gespenst, eher ein Quälgeist, der ihm manchmal erscheint. Ein unbequemer Kamerad, in dem die Traumata und der Hass widerhallen. Der Nachtkrapp ruft:

»Afrik« und er ruft »Bumm«. Wie es so ist im Südwesten. Unter der hübschen Oberfläche lauern Ungeheuer.

Da taucht ein zweiter Außenseiter auf: der Junge. Er sitzt plötzlich alleine vor der Hütte. Er hat einen Zettel, auf dem steht »Tu es famille«. Der Afrik hat in Algerien und Frankreich Französisch gelernt. Aber er hat keine Familie mehr, nirgends. Trotzdem nimmt der Außenseiter den anderen Außenseiter auf. Der Nachtkrapp meutert. Die Geschichte nimmt eine Wendung und bleibt spannend bis zur letzten Seite.

Sven Recker: Der Afrik. Edition Nautilus, Hamburg 2023. 160 Seiten,
22 Euro.

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