Zivilgesellschaft als Instrument
Rezensiert von Sebastian Friedrich
23.02.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 395
Seit den 1990er-Jahren ist das Konzept der Zivilgesellschaft aus der Entwicklungspolitik nicht wegzudenken. Mehr noch: Die Gesamtheit des Engagements der Bürger*innen eines Landes, wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) Zivilgesellschaft offiziell fasst, zählt inzwischen zu den wichtigsten Akteur*innen deutscher Entwicklungspolitik. Die Sozialwissenschaftlerin Sara Madjlessi-Roudi nimmt das Konzept aus postkolonialer Perspektive auseinander. Sie untersucht in ihrem Buch Ordnen und Regieren, das auf ihrer Dissertation beruht, in welcher Weise Zivilgesellschaft zwischen 1998 und 2013 in den Dokumenten des BMZ konstruiert wurde.
Dabei zeigt sich: Die Zivilgesellschaft des BMZ ist nicht wie bei Antonio Gramsci umkämpft, sondern eine, in der es kaum innere Machtbeziehungen und Abhängigkeitsverhältnisse nach außen gibt. Zivilgesellschaft werde damit entpolitisiert, kritisiert Madjlessi-Roudi. Die Analyse macht überzeugend auch die Ambivalenz des Konzepts deutlich: Einerseits erscheint es fortschrittlich, wenn das BMZ die Zivilgesellschaft als dezidiert aktive Akteurin konstruiert. Andererseits sind dennoch klassische Differenzmarkierungen kolonialer Diskurse nachweisbar. So stellt das BMZ der als gut entwickelt beschriebenen Zivilgesellschaft in Deutschland die vermeintlich defizitäre in afrikanischen Staaten gegenüber.
Das Konzept dient als Legitimation, um weiter deutsche Interessenspolitik zu machen
Schließlich zeigt die Autorin, dass Zivilgesellschaft auch eine Rechtfertigungsstrategie ist. Durch den Verweis auf vermeintlich überschneidende Interessen zwischen deutscher Entwicklungspolitik und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor Ort werde versucht, den Paternalismusvorwurf zu entkräften. Das Konzept dient als Legitimation, um weiter deutsche Interessenspolitik zu machen: modernisiert, aufgeklärt, vermeintlich auf Augenhöhe. Oder mit Madjlessi-Roudi auf den Punkt gebracht: Die deutsche Entwicklungspolitik regiert nicht über die Zivilgesellschaft der anderen, sondern mit ihr. Das Konzept der Zivilgesellschaft dient »letztendlich der Unterstützung, Legitimierung und Festigung der Positionen des BMZ«.
Das Buch liefert nicht nur starke empirische Befunde, die die postkoloniale Kritik an der ,fortschrittlichen‘ deutschen Entwicklungspolitik empirisch unterfüttert. Insbesondere die abschließenden Thesen dürften auch außerhalb der Wissenschaftswelt für Aktivist*innen und Reflexionswillige aus dem NGO-Bereich interessant sein.