Herstory: Feministisch-migrantische Interventionen
Rezensiert von Rebecca Blum
15.12.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 389
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe
Der von Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Pinar Tuzcu herausgegebene Sammelband Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985 – 2000) lässt sich als Intervention gegen eine allzu oft weiße Perspektive auf – auch feministische – Geschichte betrachten. Anhand von Erinnerungen einzelner migrantischer Feminist*innen, als Prosa verschriftlichten Interviews sowie einer Sammlung spannender Fotos, Flugblätter und Tagungsprogramme entsteht ein umfassender und leichtfüßiger Ritt durch mehr als 15 Jahre migrantisch-feministische deutsche Geschichte.
Zu lernen gibt es Einiges: Pinar Tuzcu beispielsweise übt Kritik an der gängigen Wellenbeschreibung und Periodisierung des Feminismus in Deutschland. In dieser Logik werden die 1990er-Jahre als ruhige Zeit des inneren (Generationen-)Konflikts beschrieben. Aus migrantisch-feministischer Perspektive waren die 1990er-Jahre hingegen geprägt von Selbstermächtigung und Kämpfen gegen die rassistischen und neonazistischen Brandanschläge, Pogrome und Morde, die oftmals unter Beifall eines nicht geringen Anteils der deutschen Bevölkerung stattfanden. Spannend ist auch die Beschreibung gemeinsamer Kongresse weißer und migrantischer Feminist*innen in den 1980er- und 1990er-Jahren. Auf die Kritik migrantischer Feminist*innen an rassistischen Denkmustern und Ausschlüssen reagierten viele zwar betroffen, aber ablehnend. Die Reaktionen der weißen Feminist*innen erinnern dabei stark an die Abwehr linker Männer gegen feministische Interventionen, wie den berühmten Tomatenwurf auf das rein männlich besetzte Podium auf dem SDS-Kongress im Herbst 1968 in Frankfurt. Zugrunde liegt dem die Haltung »Ich bin doch links/feministisch, wie kann ich da andere diskriminieren?«
Das Buch macht außerdem deutlich, dass die Suche nach diskriminierungsarmer und möglichst genauer Sprache nicht, wie oftmals von Kritiker*innen behauptet, ein Projekt von »oben« ist, sondern von sozialen Bewegungen, also von unten, vorangetrieben wird. Die Autor*innen legen dar, warum sie »migrantisch« verwenden, statt von Ausländer*innen zu sprechen. In anderen Zusammenhängen entschieden Frauen, nicht weiter von »türkischen Frauen« zu sprechen, sondern von »Frauen aus der Türkei«, um auch Kurdinnen, Armenierinnen, Christinnen und Frauen mit weiteren Hintergründe einzuschließen. Der Sammelband hilft, aktuelle feministische und migrantische Kämpfe in einem größeren Zusammenhang zu sehen und ist eine wichtige Würdigung dieser Kämpfe.