»Der Ozean ist entstellt«

Hörbeitrag vom 4. Juni 2024 im südnordfunk # 121

Audiobeitrag von Julia Reiff

27.06.2024
Teil des Dossiers Klimakrise in der Pipeline

In Tanga in Tansania wird ein Tiefseehafen gebaut, um das Rohöl aus der EACOP-Pipeline in die Welt zu verschiffen. Wir sprachen mit Richard Senkondo - einem Community Organiser und vier Fischer*innen, deren Lebensgrundlagen durch den Bau beeinträchtigt werden. Sie berichten von zurückgehenden Fischbeständen, Lärm durch Bohrungen, chemischen Lacks und unzureichenden Landkompensationen. Gleichzeitig leisten sie Widerstand gegen die Repression des Staates und setzen sich für einen Baustopp sowie gegen weiter geplante Öl-Projekte ein.


Skript zum Beitrag

Erstausstrahlung südnordfunk 4. Juni 2024 | Radio Dreyeckland | rdl.de | Autorin: Julia Reiff

Joyce Juma*: Ich benutze an dieser Stelle Worte auf Swahili, nämlich: Bahari Mechafuka. Ins Deutsche übersetzt bedeutet: der Ozean wurde entstellt, und zwar durch häufige Bohraktivitäten, weil TotalEnergies gerade einen Ölterminal im Ozean baut.

Sprecherin: Das berichtet Joyce Juma, eine der vier Fischer*innen aus der Region Chongoleani im Süden Tansanias, mit denen wir gesprochen haben. Dort, in der Nähe der Stadt Tanga wird aktuell ein Tiefseehafen erweitert, um das Öl aus der East African Crude Oil Pipeline, kurz EACOP, auf Tanker zu verladen und abzutransportieren. Das Leben der Fischer*innen hat sich grundlegend verändert, seit TotalEnergies, eines der zentralen Unternehmen hinter der Pipeline, in ihr Dorf kam und ihr Land aufkaufte. Fischer Pandu Makame beschreibt, wie sein Leben aussah, bevor der Bau der EACOP-Pipeline begann.

Pandu Makame*: Ich beginne meinen Tag normalerweise zwischen fünf und sechs Uhr morgens, wenn ich die Netze vorbereite. Wenn ich mit den Fischernetzen fertig bin, breche ich von der Anlegestelle auf, um mit dem Fischen zu beginnen. Normalerweise bin ich etwa fünf bis sieben Stunden auf dem Wasser und gegen Mittag kehre ich zu den Anlegestellen zurück. Dort verkaufe ich den Fang. Wir benutzen eine lokale, traditionelle Technologie zum Fischen. An einem guten Tag kommen wir mit vier bis fünf Eimern Fang nach Hause. Das hängt aber insbesondere von Wind und Wetter ab, weil wir keine mechanisierten Boote verwenden, sondern Segelboote. Wenn sich der Wind legt oder es einen Sturm gibt, dann ist das natürlich eine Katastrophe.

Sprecherin: Wenn die Fischer mit ihrem Fang zurückkehren, stehen im Hafen Fischhändlerinnen bereit, die die Fische den Fischern abkaufen und auf den Märkten verkaufen. Joyce Juma, erzählt von ihrem Arbeitsalltag, der von dem Fang der Fischer abhängt:

Joyce Juma: Normalerweise beginnt mein Tag zwischen zehn und dreizehn Uhr, je nachdem wann die Fischer zurück in den Hafen kommen. Wenn es ein guter Tag ist, kaufe ich ihnen drei bis vier Eimer mit Fischen ab. Aber manchmal, wenn es ein schlechter Tag ist und die Fischer nichts gefangen haben, habe ich nur einen oder gar nichts. Dann verarbeite ich die Fische und bringe sie auf den Markt. Wenn sich das Zeitfenster der Fischer verschiebt, verbringe ich zu viel Zeit dort und dann kann ich mich nicht mehr so gut um die Kinder und älteren Menschen zuhause kümmern.

EACOP stört das Leben der lokalen Bevöl­kerung

Sprecherin: Seit Ende 2022 ist dieser Alltag nicht mehr möglich: Die Fischer*innen mussten ihr Dorf für den Bau der Pipeline verlassen. Dann Anfang 2023 haben die Bohrungen für den Ausbau des Tiefseehafens in Tanga begonnen, um das Öl aus der Pipeline weiter transportieren zu können. Joyce Juma berichtet von Bohrungen und vermeintlichen chemischen Lecks beim Bau des Terminals:

Joyce Juma: Direkt an der Küste wird viel gebohrt. Dort wird der Ölterminal gebaut, um das Öl zu lagern, das aus der EACOP-Pipeline im Hafen ankommt. Wir vermuten, dass der Fischfang aufgrund der häufigen Vibrationen tatsächlich kleiner geworden ist. Die Vibrationen wirken wie ein Erdbeben. Dadurch werden die Brutstätten der Fische zerstört, denn diese befanden sich rund um die Mangroven entlang der Küste und nicht in den tiefen, geschützten Gewässern. Alles ist sehr chaotisch geworden. Abgesehen von meiner Aktivität als Fischhändlerin, fische ich auch Tintenfische. Dafür muss ich sehr tief ins Wasser tauchen, denn die Tintenfische bleiben normalerweise in Höhlen. Diese bunten Höhlen sind auch Brutstätten der Fische. Aber wir vermuten, dass TotalEnergies während der Bohraktivitäten auch Chemikalien ins Wasser abgelassen hat, sodass die Brutstätten weiß geworden sind. Sie locken keine Fische mehr an.

»Ich kann nicht mehr so tief tauchen, weil der Lärm der Bohr­ungen meinen Kopf zum Dröhnen bringt.«

Ich kann nicht mehr so tief tauchen, weil der Lärm der Bohrungen meinen Kopf zum Dröhnen bringt und ich durch das sich bewegende Wasser nichts mehr sehen kann. Früher konnte ich mich an den bunten Korallen orientieren, um die Tintenfische zu finden. Kleinfischer*innen wie ich, die mit traditionellen Fangmethoden wie zum Beispiel Pfeilen fischen, fangen jetzt also viel weniger Tintenfische.

Sprecherin: Für Joyce Juma bedeutet das fossile Großprojekt: weniger Fische und ein unsicheres Einkommen. Außerdem wurde sie und die anderen Fischer*innen von ihrem Land vertrieben auf dem sie zusätzliche Nahrungsmittel angebaut hatten. Stattdessen werden auf dem Land jetzt Häuser für die Arbeiter*innen an der Pipeline gebaut. Wir wollten von den Fischer*innen wissen: Wann habt ihr das erste Mal vom anstehenden Großbauprojekt gehört? Wer hat sich an euch gewendet?

Bau des Ölterminals auf dem Meer, großer Kran und vier hohe Türme auf einer schwimmenden Plattform
Vor der Küste von Tanga, Tansania, wird für die EACOP-Pipeline ein Ölterminal gebaut.

Unzu­reichende Kompen­sationen für Land

Pandu Makame: Ende 2017 oder Anfang 2018 haben wir das erste Mal davon gehört, dass unser Land von dem Bau der Pipeline und den Landkäufen betroffen ist. Es gab nur ein einziges Treffen mit TotalEnergies und dem staatlichen Ölunternehmen Tanzania Petroleum Development Corporation (TPDC). Das Unternehmen hat bei dem Treffen verkündet, dass ein Investor das Land übernehmen will. Viele Leute haben bei der Versammlung protestiert und gesagt, sie könnten ihr Land nicht aufgeben. Letztendlich hat die Regierung verkündet, dass sie für jeden Hektar Land zwei Millionen Tansania-Schilling als Entschädigung zahlen würden, das sind ungefähr 600 US Dollar. Aber die Region Chongoleani liegt sehr nah an der Stadt Tanga und hier sind die Grundstückspreise normalerweise sehr hoch. Man kann derzeit kein Acre Land bekommen, nicht einmal für fünf Millionen Schilling. Das hat uns wirklich verärgert.

»Jetzt sind wir vor allem von der Fischerei abhängig, weil wir kein Land mehr in der gleichen Größe bekommen können.«

Jetzt sind wir vor allem von der Fischerei abhängig, weil wir kein Land mehr in der gleichen Größe bekommen können. Denjenigen aus dem Dorf, die Vieh halten, fehlten irgendwann die Flächen, auf denen sie ihr Vieh weiden lassen konnten. Also verkauften sie ihr Vieh und wieder andere beschlossen, weiter raus aufs Land zu ziehen, um mit der Viehhaltung weiterzumachen. Andere zogen von den ursprünglichen Fischfanggebieten in andere Regionen. Das heißt, sie sind weit weg gezogen, um weiter leben und arbeiten zu können.

Sprecherin: Die Dorfgewohner*innen mussten ihr Dorf verlassen. Sie mussten für die Ölaktivitäten weichen.

Pandu Makame: Auf unserem ehemaligen Land ist sehr viel los: Viele Fahrzeuge sind unterwegs. In den meisten Teilen der besetzten Gebiete werden Ölreservoirs gebaut. Aber sie bauen auch Häuser für Mitarbeiter*innen, die am Bau des Hafens und der Pipeline involviert sind.  

Sprecherin: Die Dorfbewohner*innen hatten überlegt vor Gericht zu ziehen, doch die Regierungsvertreter*innen haben ihnen versichert dass sie vor Gericht keine Chance hätten, da laut den Gesetzen in Tansania, das Land offiziell nicht ihnen gehört, sondern dem Präsidenten.

Richard Senkondo ist der Direktor der Organisation für Gesellschaftliches Engagement in Tansania und unterstützt die Fischer*innen. Er plädiert dafür, dass die Gesetze zum Landbesitz geändert werden, um Landvertreibung bekämpfen zu können.

Richard Senkondo: Wir wünschen uns also, dass die Gesetze Tansanias Land als Privateigentum zulassen würden, damit so etwas nicht nochmal passiert und Menschen willkürlich von ihrem Land vertreiben werden können. Es besteht ein dringender Bedarf, die Gesetze zu ändern und den Menschen die Vollmacht zu geben, das Land vollständig zu nutzen, und nicht alles Land unter das Treuhandsiegel der Regierung zu stellen. Denn wenn wir nichts ändern, werden sie beim nächsten Mal mit einem anderen Projekt kommen und die Menschen werden auf ähnliche Probleme stoßen, wie sie sie jetzt erlebt haben.

Wider­stand gegen Staat und inter­nationale Gelder

Sprecherin: Der Widerstand in Tanzania formiert sich nicht nur vor Gericht, sondern vor allem auch in Zusammenarbeit mit der StopEACOP Kampagne. Ich habe Richard gefragt, wie sie diesen Widerstand aufbauen.

Richard Senkondo: Es gibt mehr als tausend Kleinfischer*innen, die keine mechanisierten Boote für ihre Fangtätigkeit nutzen und die in der Regel unzufrieden mit diesem Projekt sind. In der Region von Chongoleani sind es mehr als 200 Menschen, die teilweise vertrieben wurden, und jetzt gemeinsam die #StopEacop-Kampagne unterstützen. In Tansania gibt es also aktive Bewegungen und Gemeinden, mit denen wir viel Widerstand geleistet haben. Im Rahmen der #StopEacop-Kampagne verfolgen wir also hauptsächlich zwei Ziele. Unser Hauptziel ist es, die Pipeline ernsthaft zu stoppen. Aber wir versuchen auch, die ungerechten Aktionen zu verlangsamen.

»Uns ist es gelungen, mehr als 5.000 Projekt­betroffenen zu helfen.«

Im Juli letzten Jahres haben wir eine rechtlichen Hinweis an die Institutionen hinter der Pipeline geschrieben, an Total Energies, EACOP, Tanzania Petroleum Development Corporation und das chinesische Ölunternehmen CNOOC. Davor hatte ich mehr als einhundert Anrufe direkt aus verschiedenen Regionen bekommen, nicht nur aus Tanga, sondern aus acht weiteren Regionen, die von Eacop betroffen sind. Die Menschen baten mich um Hilfe, weil die tansanische Regierung sie aufgefordert hatte, ihr Land sofort zu räumen. Aber im Juli haben die meisten Menschen, die Landwirtschaft betreiben, Feldfrüchte gepflanzt, wie Maniok und Bohnen, die normalerweise acht bis neun Monate brauchen, bis sie geerntet werden. Die Regierung sagte also, sie hätten nur drei Wochen Zeit und sollten dann ihre Gebiete räumen. Das bedeutet, dass sie all unsere Ernten verlieren würden, die noch nicht reif waren. EACOP hat auf unsere Mitteilung reagiert. Sie haben endlich eine Stelle eingerichtet, bei der die Menschen ihre Beschwerden vorbringen konnten.

Wir waren sehr erfolgreich, denn es ist uns gelungen, mehr als 5.000 Projektbetroffenen zu helfen, die eigentlich vertrieben werden sollten. EACOP und die tansanische Regierung waren schockiert über unsere Mitteilung und haben die Räumung verlangsamt. So konnten die betroffen Bewohner*innen ihre Ernte retten.

Sprecherin: Trotz dieser Erfolge von Richard, seinem Team und den Betroffenen, bleibt ein Stop des Ölprojekts noch Wunschdenken. Wie Richard im weiteren Verlauf des Interviews erzählt, gibt es weitere Ölvorkommen im Indischen Ozean, die derzeit an internationale Unternehmen verkauft werden. Für Richard bedeuten die Zukunftspläne mit fossilen Projekten, dass es noch dringender wird, mit Menschen vor Ort und in anderen Ländern zusammen zu arbeiten, um weitere Mensch- und Umweltschäden zu verhindern.

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