Polizei im Einsatz gegen Protestierende in den Straßen von Nairobi, Kenia 2024
Polizei im Einsatz gegen Protestierende in den Straßen von Nairobi, Kenia 2024 | Videostill

Ernten, was er gesät hat

Anti-Establishment-Populist Ruto hat sich verrechnet

Ende Juni sorgte erneut eine landesweite Protestwelle in Kenia für Aufsehen. Das Parlament in Nairobi wurde gestürmt und Teile in Brand gesetzt. Die Polizei setzte scharfe Munition gegen die Demonstrierenden ein. 39 Menschen kamen im Rahmen der Proteste ums Leben*. Ausgelöst wurden die Proteste durch ein Finanzgesetz, das Steuererhöhungen vorsah. Vor dem Hintergrund der hohen Verschuldung des Landes und der desolaten wirtschaftlichen Lage Kenias wurde schon vor einem Jahr und vermehrt in den letzten Monaten Kritik an den Steuerplänen laut, die vor allem die Ärmeren treffen.

Präsident William Ruto zog das Gesetz Anfang Juli zwar zurück. Seine Legitimität und die der Regierung bleiben jedoch weiterhin labil. Der 7. Juli , ein historischer Gedenktag (SabaSaba), an dem 1990 erstmals Regimekritiker*innen – und vor allem die ärmere Bevölkerung – gegen Repressionen der kenianischen Regierung aufbegehrten und damals den Weg zu demokratischen Wahlen ebneten, wirkt in der aktuellen Krise nicht nur symbolisch. Neben der protestierenden Generation Z wurden dieser Tage weite Teile der Bevölkerung gegen den jungen Präsidenten mobilisiert, Forderungen nach einem Rücktritt bleiben laut. Am 11.7. griff Ruto zu einer Verzweiflungstat und löste sein Kabinett auf. Ob er damit die kollektive Wut beschwichtigen kann, die er mit seinem Steuerpaket inmitten einer Wirtschaftskrise geweckt hat, ist fraglich. Die Gründe dafür analysiert der Politikwissenschaftler Ken Opalo auf seinem Blog African Perspectives. Der erste Teil der dreiteiligen Artikelserie wird hier in deutscher Übersetzung veröffentlicht*.

von Ken Opalo

12.07.2024

In den letzten zwei Wochen tat ich mich schwer zu verstehen, warum sich William Ruto als Präsident als ein viel schlechterer Politiker erwiesen hat, denn zuvor als Kandidat. Die Präsidentschaft gewann er 2022 mit einer populistischen Botschaft. Allerdings schätzte er die monatelang schwelende öffentliche Wut über das im Mai vorgeschlagene neue Steuerpaket völlig falsch ein. Es kam inmitten der Zeit steigender Lebenshaltungskosten, der Korruption im öffentlichen Sektor, der unverhohlenen Zurschaustellung des Reichtums durch korrupte Beamte in den sozialen Medien, während sich öffentliche Dienstleistungen verschlechterten und die Legitimität der Regierung erodierte.

Bisher lassen Rutos Reaktionen darauf schließen, dass ihn die Ereignisse vom 25. Juni 2024 überrascht haben, als die landesweiten Proteste gegen die Besteuerung darin gipfelten, das Parlament in Nairobi zu stürmen. Vergessen waren die Umfragen, die die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit mit seinen Steuermaßnahmen im neuen Finanzgesetz aufzeigten, die zahllosen Diskussionen in den Zeitungen, online und in Fernseh- und Radiotalkshows.

 

Von der Klassenkampf-Rhetorik…

Vielleicht dachte er, dass er die Opposition ausreichend demobilisiert und die Massenopposition gegen seine aggressive Steuerpolitik stillgelegt hätte, nachdem er mit dem ehemaligen Premierminister Raila Odinga einen »Waffenstillstand« geschlossen hatte (und ihn offiziell zum Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union vorschlug). Vielleicht kalkulierte er aber auch zynisch, dass sein Steuerpaket nur einen kleinen Teil der Kenianer*innen (etwa drei Millionen) betrifft, die hauptsächlich in der formellen Wirtschaft tätig sind und daher keine großen politischen Verluste verursachen würden, solange er die ländlichen Regionen auf seiner Seite hat. Das passt auch zur anhaltenden Klassenkampf-Rhetorik seiner Regierung, um Andersdenkende auszuschalten. Er könnte aber auch durch die Lobeshymnen abgelenkt worden sein, die er seit seinem Amtsantritt von ausländischen Regierungen und Organisationen erhalten hat – bis Anfang Juni 2024 absolvierte er innerhalb von nur 20 Monaten 62 Besuche in 38 Ländern.

Kritik wurde als Anti-Ruto-Wahn­vorstellung der Mittel­schicht abgetan

Was Ruto jedoch nicht erkannte: Seine eigene Präsidentschaftskampagne hatte die politische Ökonomie der (Steuer-)Politikgestaltung in Kenia grundlegend verändert. Seinem Vorgänger Uhuru Kenyatta sowie seinem Widersacher Odinga warf er vor, durch übermäßige Kreditaufnahme, hohe Steuern, verschwenderische Subventionen, schlechte Dienstleistungen und eine Reihe von Maßnahmen gegen die Armen für eine Wirtschaft verantwortlich zu sein, die zugunsten des Establishments funktionierte – und vergaß dabei, dass er als Vizepräsident unter Kenyatta Teil der Regierung war. Sein Anti-Establishment-Populismus (genannt Hustler-Bewegung) mobilisierte unzählige arbeitslose oder unterbeschäftigte junge Wähler*innen und gab ihnen das Gefühl, dass die Regierung ihnen eine funktionierende Wirtschaft schuldete. Diese Hustler glaubten, dass sich ihr materielles Schicksal unter Ruto ändern würde, und investierten in die öffentliche Politik – wie das beispiellose öffentliche Interesse an der Wirtschaftspolitik der letzten zwei Jahre zeigt.

 

…zur Plünde­rung öffentlicher Ressourcen

Die populistische Mobilisierung des Kandidaten Ruto im Jahr 2022 zerstörte im Wesentlichen die sozialen Grundlagen der politischen Macht in den Teilen des Landes, in denen er die Wahl gewann. Er schwächte die etablierten politischen Persönlichkeiten zugunsten loyaler und abhängiger Neulinge. Das zeigte sich am deutlichsten in der Region Mount Kenya, aber auch in anderen Teilen des Landes, in denen Rutos United Democratic Alliance (UDA) unaufhaltsam Stimmen gewann. Anstatt mit den üblichen etablierten ethnischen Machthabenden zusammenzuarbeiten, operierte Ruto vor allem mit ehrgeizigen jungen Politiker*innen, religiösen Führungspersonen und direkten populistischen Appellen an die Wähler*innen.

Der veränderte Stil der politischen Mobilisierung, die zunehmende Bedeutung der Wirtschaftspolitik und die enorm gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit forderten eine andere Regierungspolitik. Als Ruto jedoch an der Macht war, demobilisierte er schnell die Welle, die ihn an die Macht gebracht hatte. Er umgab sich mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Personen, die darauf aus waren, die öffentlichen Ressourcen zu plündern und weniger interessiert waren, dass kompetente Leistungen erbracht werden. Vielleicht wäre er in wirtschaftlich guten Zeiten damit durchgekommen. Doch im Jahr 2022 stand die kenianische Wirtschaft auf der Kippe. Ruto erbte eine chaotische Wirtschaft nach einem Jahrzehnt der Misswirtschaft unter Kenyatta. Die Schuldenexzesse unter Kenyatta und die ausufernden Defizite erforderten eine Haushaltskonsolidierung. Ein Staatsbankrott war angesichts der ausstehenden Zahlungen nicht völlig ausgeschlossen. Der Kenianische Schilling stand unter Druck, was die Inflationsrate erhöhte. Das Land erholte sich gerade von einer Dürre, die die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigt und die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben hatte. Arbeitsplätze wurden immer knapper. Und die Realeinkommen hatten fast ein ganzes Jahrzehnt lang stagniert.

Die Protest­bewe­gung bezeichnete sich als »führerlos« und »ohne Stammes­zuge­hörigkeit«

Die Art und Weise, wie Ruto seinen Wahlsieg errungen hatte, sowie seine Personalentscheidungen, schränkten seine Fähigkeit ein, diese unzähligen Herausforderungen angemessen anzugehen. Im Parlament brachte seine populistische Welle eine Mehrheit von politischen Leichtgewichten hervor, die – obwohl sie wichtige Führungspositionen innehaben – mehr daran interessiert sind, in sein Loblied einzustimmen, als die Beschwerden ihrer Wähler*innen zu vertreten. In der Exekutive bekamen Personen, die weder Erfahrung noch Fachwissen in der öffentlichen Verwaltung haben, wichtige Posten. Darüber hinaus schränkte eine gewisse Rachsucht gegenüber dem Establishment, das ihn im Jahr 2022 abgelehnt hatte, die Möglichkeit ein, konstruktives Feedback oder Unterstützung in wichtigen politischen Fragen zu erhalten. Die Regierung erklärte Institutionen und Unternehmen, die sich seiner Kandidatur widersetzt hatten, einschließlich der Medien, mehr oder weniger den Krieg.

 

Unter­schätzte Wut

All das bedeutet, dass die Regierung gerüstet war, die anfänglichen Bedenken gegen das Finanzgesetz als eine Gegenreaktion der Mittelschicht auf die Präsidentschaftswahlen 2022 abzutun. Man hoffte, dass sich die Online-Wut nicht in politische Offline-Aktionen verwandeln würde und dass man mit jeder organisierten Opposition verhandeln und sie kaufen würde – so wie es letztes Jahr bei den Protesten gegen hohe Steuern und Lebenshaltungskosten geschehen war.

Doch dieses Mal kam es anders. Es gab keine ethnischen Oberhäupter, mit denen man verhandeln oder ethnische Gruppen, die man zum Sündenbock erklären konnte – die Protestbewegung der Generation Z bezeichnete sich selbst als »führerlos« und »ohne Stammeszugehörigkeit«. Das öffentliche Interesse an der Gesetzesvorlage machte es der Regierung unmöglich, die Steuermaßnahmen als solche darzustellen, die hauptsächlich auf die ,verwöhnte‘ Mittelschicht abzielten – denn schließlich isst jede*r Brot. Es gab nur noch wenige soziale Mittel, um mit dem öffentlichen Zorn umzugehen. Die Kirchen haben sich als willige Empfänger*innen geplünderter öffentlicher Mittel durch Spendenaktionen diskreditiert. Rutos erfolgreiche Koalitionsmitglieder waren mehr am Raub öffentlicher Ressourcen interessiert als an einer politischen Mobilisierung der Basis zur Unterstützung seiner janusköpfigen Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung[D1] . Wenn überhaupt, dann haben ihre TikTok-Videos, in denen sie mit Schmiergeldzahlungen protzten, die öffentliche Wut auf die Verwaltung angeheizt.

Es ist erstaunlich, wie wenig die Regierung investiert hat, um das Finanzgesetzes der Öffentlichkeit gut zu verkaufen. Berechtigte Kritik wurde als Anti-Ruto-Wahnvorstellung der Mittelschicht abgetan. Der Regierung fehlte es an glaubwürdigen Beweisen für Verbesserungen im öffentlichen Dienst, um weitere Steuererhöhungen zu rechtfertigen. Der Hauptsekretär des Finanzministeriums und der Vorsitzende des Finanzausschusses der Nationalversammlung erschienen unvorbereitet zu Mediengesprächen. Sie konnten keine schlüssige Begründung für die vorgeschlagenen Steuererhöhungen liefern. All dies schürte in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass das Finanzgesetz in Washington vom Internationalen Währungsfonds (IWF) als Teil des kenianischen Programms zur Haushalts­konsolidierung verfasst wurde. Das untergrub die ohnehin schon schwache Legitimität der Regierung zusätzlich.

All das zeigt, dass Ruto es hätte besser wissen müssen. Die meisten Beobachter*innen sind sich einig, dass seine Kampagne im Jahr 2022 den öffentlichen Diskurs über die Politik in Kenia auf eine höhere Ebene gehoben hat. Er hat die Rolle der ethnischen Zugehörigkeit bei Wahlen lobenswerterweise verringert. Mit seinem Versprechen, die wirtschaftlichen Bedingungen für alle gleich zu machen, sprach er Millionen Kenianer*innen an, die durch Kenyattas Vetternwirtschaft entrechtet worden waren. Zum Leidwesen der Kenianer*innen scheint es, dass er nur das alte System zerstören wollte, aber keine Pläne für den Aufbau eines neuen hatte. Jetzt erntet er die Früchte dieses Versäumnisses.

Ken Opalo ist Außerordentlicher Professor an der Georgetown University, Washington DC, und schreibt auf dem Blog An African Perspective. Übersetzung aus dem Englischen: ACHTUNG: Kein Autor annalena-eble vorhanden! (iz3w).

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